Wiesbadener Kurier, Wiesbaden (Tageszeitung) vom 05.11.2024, S. 2 (Tageszeitung / täglich außer Sonntag, Wiesbaden)
Rubrik im PS: | Geisteswissenschaften / Gesellschaftswissenschaften / Politikwissenschaften / Bildungswissenschaften |
Autor: | Mario Geisenhanslüke |
Auflage: | 36.247 |
Reichweite: | 84.456 |
Ressort: | Politik |
Quellrubrik: | Wiesbadener Kurier Stadtausgabe |
Kommentare: Ampel-Streit: Regierungsarbeit ist keine Reality-Show
Politik ist kein Spiel. Politik ist kein Theater. Politik ist kein Zeitvertreib. Politik ist kein Ego-Hobby für die Volksvertreter. Die Akteure der Ampelregierung treten die Verantwortung mit Füßen, die ihnen übertragen worden ist - und bestärken Demokratie-Feinde gleichermaßen wie Nicht-Wähler. In "Regierungsverantwortung" steckt deutlich das Wort "Verantwortung". Führende Politikwissenschaftler wie etwa Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte blicken recht gelassen auf das Schauspiel in Berlin. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sei halt nicht der große Kommunikator. Christian Lindner wolle halt seinen provokanten Auftritt gehabt haben und müsse in Doppelfunktion als Minister und Parteichef auch seiner Partei etwas bieten. Am Ende des Tages wolle in Wirklichkeit niemand das Ampel-Aus, denn Neuwahlen würden niemandem der drei Regierungspartner helfen.
Doch die Regierungsarbeit für Deutschland darf nicht zu einer kalkulierten Show werden, die von Experten durchblickt wird, aber beim Bürger zu einem "Die da oben machen, was sie wollen"-Gefühl führt. Die Wähler entscheiden in einer Demokratie, wem sie für die nähere Zukunft vertrauen. Auf der Basis entstehen Koalitionen. Und dann beginnt die seriöse Regierungsarbeit. So sollte es sein. Oder aber man formuliert als Finanzminister einfach mal so ein Grundsatzpapier, in dem man eine Abkehr vom bisherigen Kurs fordert. Was sich Lindner erlaubt, dürfte sich kein Arbeitnehmer in Deutschland einfach so erlauben. 2017 hatte er mal den berühmten Satz gesagt: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Vielleicht sollte er sich daran erinnern, auch wenn er ihn damals anders gemeint hat.
Es ist aber nicht der FDP-Chef allein, der scheinbar vergisst, dass im Regierungsviertel keine Reality-Show mit Unterhaltungsfaktor gedreht wird. Dass eine Bundesregierung zwei Wirtschaftsgipfel parallel organisiert, ist schon absurd. Dass auch Kanzler Scholz zu "seinem" Gipfel mit der Wirtschaft den Wirtschaftsminister nicht einlädt, hat Vertrauen zerstört. Und wenn aus dem Umfeld der Grünen ertönt, man sei bereit, mit den Ampelpartnern über alles zu sprechen, sei gesagt: Das ist keine Leistung, das ist eine Selbstverständlichkeit. Und das Schlimmste an der ganzen Nummer: Der aktuelle Ampel-Ego-Trip verdrängt die inhaltliche Arbeit. Noch in dieser Woche müssen sich die drei Parteien einig werden: Klarer Bruch, weil nichts mehr geht. Oder Einigung - und dann seriöse Arbeit auf der Zielgeraden. Deutschland braucht eine ernsthaft arbeitende Bundesregierung.