Rhein-Sieg-Anzeiger (Tageszeitung) vom 12.10.2024, S. 41 (Tageszeitung / täglich außer Sonntag, Siegburg)
Rubrik im PS: | Geisteswissenschaften / Gesellschaftswissenschaften / Politikwissenschaften / Bildungswissenschaften |
Autor: | Martina Sulner |
Auflage: | 9.886 |
Reichweite: | 23.034 |
Eine Frage des Preises
Eine Frage des Preises Von Martina Sulner D a ist Kondition gefragt. Wer in der nächsten Woche die Frankfurter Buchmesse besucht, braucht Durchhaltevermögen. Beim weltweit größten Branchentreffen präsentieren rund 4000 Aussteller aus mehr als 100 Ländern ihre Neuheiten. Hunderte von Autoren und Autorinnen stellen vom 16. bis 20. Oktober Texte vor, debattieren über Themen wie Klimakrise und Krieg und signieren vor allem an den beiden Publikumstagen am Samstag und Sonntag ihre Bücher. Der Trubel dürfte gewaltig sein - und das in Zeiten, in denen viel über mangelnde Lesekompetenz und kulturelle Verflachung geredet wird. Wer zudem an allen Preisverleihungen rund um die Messe teilnehmen möchte, hat besonders gut zu tun. Unter anderem werden in Frankfurt der Jugendliteraturpreis, der Julius-Campe-Preis, der Tiktok Book Award, der Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis verliehen und, bereits am Montagabend, der Deutsche Buchpreis. Nominiert sind dafür Martina Hefter, Maren Kames, Clemens Meyer, Ronya Othmann, Markus Thielemann und Iris Wolff. Das sind jede Menge Auszeichnungen - und ist doch nur ein Bruchteil der rund 1000 Literaturpreise in Deutschland. Eine exakte Zahl lässt sich nicht nennen: Immer wieder werden neue Ehrungen ins Leben gerufen oder man verabschiedet sich nahezu unbemerkt von alten, als überholt geltenden Preisen. Viel zu viele seien das, kritisieren manche, die Zahl der Ehrungen wachse „inflationär“. Oft meinen das vor allem Menschen mit gut dotierten Jobs. Und oft steht hinter dieser Behauptung ein etwas verqueres, antiquiertes Verständnis von den Bedingungen des Schreibens - als würden Schreibende heutzutage verhätschelt und als könne nur der arme Poet, die arme Poetin Relevantes zu Papier bringen.
Mal ganz abgesehen davon, kön-Wer macht das Rennen? Am Montag wird in Frankfurt der Deutsche Buchpreis verliehen. Es ist eine von rund
1000 Literaturauszeichnungen in Deutschland. Sind das viel zu viele, wie manche kritisieren? Oder sind sie ein wichtiger Faktor für eine vielfältige Literaturlandschaft? Ein Blick auf das Preisgeschehen. Es ist fast noch mehr die Anerkennung als der finanzielle Aspekt. Antje Rávik Strubel, Autorin, über die Bedeutung von Literaturauszeichnungen nen die meisten Schreibenden in Deutschland tatsächlich keine großen Sprünge machen. Es gibt ein paar prominente Schriftsteller und Schriftstellerinnen, deren Bücher sich gut verkaufen und die bei Lesungen große Säle füllen. Doch für das Gros ihrer Kollegen und Kolleginnen gilt das nicht. Nach aktuellen Zahlen der Künstlersozialkasse liegt das durchschnittliche Bruttomonatseinkommen von dort versicherten Autorinnen und freiberuflichen Journalisten bei 2000 Euro. Wir hätten keinesfalls zu viele Auszeichnungen, meint Alexandra Pontzen, Literaturprofessorin an der Universität Duisburg-Essen und Mitautorin der Studie „Literaturpreise im deutschsprachigen Raum seit 1990: Funktionen und Wirkungen". Die Ehrungen seien zwar alle Instrumente der literarischen Qualitätssicherung, Autorenforderung und Leserorientierung, doch „kein Preis gleicht dem anderen“. Die Auszeichnungen seien ebenso vielfältig wie ihre Funktionen, erläutert Pontzen im Gespräch. So gebe es Ehrungen für bestimmte Genres und für bestimmte Inhalte, es gebe solche, die sich speziell an Frauen richten, andere an Übersetzer, wieder andere an Debütantinnen ... Dazu kommen die Auszeichnunggen, bei denen „Regionalität eine besondere Rolle spielt“. Das kann einerseits bedeuten, dass eine Region Schreibende auszeichnet, die von dort stammen, dort leben oder die Region zum Thema ihrer Literatur machen. Oftmals solle andererseits mit der Vergabe der Auszeichnung eine Kulturregion gestärkt werden. Das gilt auch für Stadtschreiber-Stipendien.
Bei vielen Auszeichnungen gehe es dezidiert um mehr als rein literarische Kriterien, betont die Literaturwissenschaftlerin. So zeichnet der Wortmeldungen Ulrike Crespo Literaturpreis Texte aus, „,die sich kritisch mit gegenwärtigen Themen beschäftigen“, wie es auf der Website heißt. Marion Poschmann wurde 2021 für „eine literarische Vision für eine klimagerechte Zukunft" geehrt.
Und dass es manchen Einrichtungen mit der Vergabe eines Preises vielleicht mehr um Eigen-PR als um Literaturförderung geht, dürfte verzeihlich sein.
Ähnlich unterschiedlich wie die Zielsetzung der Auszeichnungen ist auch ihre Dotierung. Für den Büchner-Preis gibt es 50 000 Euro, für den Krimifuchs 800 Euro - und ein Großteil der Auszeichnungen ist gar nicht dotiert. Für Schreibende kann selbst solch ein Preis beglückend sein: Das Finanzielle spiele natürlich eine Rolle, wenn man sich als freie Autorin durchzuschlagen versuche, sagt die Schriftstellerin Antje Rávik Strubel („Tupolew 134“ „Sturz der Tage in die Nacht“). Doch das sei nicht das einzig Wichtige: „Es ist fast noch mehr die Anerkennung als der finanzielle Aspekt.“ Am Anfang des Schreibens seien Preise „mutmachend, sie sind eine Motivation“. Nachdem sie 2001 den Ernst-Willner-Preis beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb gewonnen hatte, habe das Feuilleton sie überhaupt erst wirklich wahrgenommen. Spätere Auszeichnungen waren in anderer Hinsicht bedeutend: Der Preis der Literaturhäuser 2019 „markierte für mich das Ende einer Durststrecke von fast zehn Jahren und brachte mich zurück aufs literarische Parkett", sagt Rávik Strubel.
Der Deutsche Buchpreis, der jetzt zum 20. Mal verliehen wird, wird weithin beachtet. Ziel ist es laut Satzung, „über Ländergrenzen hinaus Aufmerksamkeit zu schaffen für deutschsprachige Autor*innen, das Lesen und das Leitmedium Buch “. Das ist ihm auf jeden Fall gelungen. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der die Ehrung vergibt, investiert viel in Marketing und PR. Das geht von der Bekanntgabe der Jury über die Ankündigung der Longlist mit 20 Titeln bis zur Bekanntgabe der Shortlist mit sechs Titeln. Alles begleitet von Diskussionen in den Medien und unter Literaturinteressierten, ob die Auswahl etwas taugt. „Gerade durch das Wettbewerbsformat gelingt es, eine große Gruppe von Literaturinteressierten mitzunehmen“, sagt Literaturwissenschaftlerin Pontzen. Den Namen der Gewinnerin oder des Gewinners - wie Tonio Schachinger 2023 - haben viele Literaturfans noch nach Monaten parat. Beim Kleist- und Döblin -, beim Raabe- und selbst beim Büchner-Preis, der als renommierteste Auszeichnung für deutschsprachige Literatur gilt, sieht es schon anders aus.
Die herausragende Stellung des Deutschen Buchpreises hat auch Rávik Strubel erlebt, die 2021 für ihren Roman „Blaue Frau“ ausgezeichnet wurde. Übrigens verbunden mit einem Preisgeld von 25 000 Euro; für diejenigen, die es auf die Shortlist schaffen, gibt es je 2500 Euro. Wie wichtig war der Preis für sie? „Er hat mich hoffentlich endgültig als einigermaßen ,feste Grö-FOTO: LYSANDER YUEN/UNSPLASH Be' im deutschen Literaturbetrieb verankert", sagt die 50-Jährige. „Er hat mir das Glück verschafft, tatsächlich, wenn auch nur für kurze Zeit, in Bahnhofsbuchhandlungen zu finden zu sein. " Auch wenn manchen solch eine „Challenge“ mit Long- und Shortlist-Bekanntgabe nicht behagt: Das Verfahren wirkt zeitgemäß. Wie aber letztendlich eine Jury zu ihrem Votum kommt, wissen meist nur deren Mitglieder. Als zwei Jurorinnen des Internationalen Literaturpreises des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin vor ein paar Monaten das sonst übliche Schweigen brachen, sorgte das für einigen Wirbel. Laut Satzung zeichnet sich der Preis „durch seine besondere Anerkennung von Schriftsteller*innen und Übersetzer*innen aus, die in ihrer Arbeit über kulturelle und nationale Grenzen hinweg denken". Juliane Liebert und Ronya Othmann, die mit ihrem Roman „ Vierundsiebzig" gerade auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis steht, kritisierten in einem „Zeit“ -Artikel: „Es ging um Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, um Politik und nicht um Literatur." Das wirft - neben der Überlegung, ob es sich gehört, Interna aus Sitzungen auszuplaudern - Fragen auf: Unter anderem, ob es eine „objektive“ Jury überhaupt geben kann und inwieweit außerliterarische Erwägung bei jedem Entscheidungsprozess mitwirken, wenn vielleicht auch unbewusst.
Ob nun all die Auszeichnungen dafür sorgen, dass erstklassige Literatur entsteht? So schlicht und direkt lassen sich die Verbindungen nicht ziehen. Auf jeden Fall unterstützen sie Autoren und Autorinnen dabei, sich aufs Schreiben zu konzentrieren. Davon profitieren viele: Agenten, Verlegerinnen, Buchhändler - und nicht zuletzt Leser und Leserinnen. Buchpreisträger 2023: Autor Tonio Schachinger. FOTO: IMAGO/DWI ANORAGANING RUM/PANAMA PICTURES