Rubrik im PS: | Geisteswissenschaften / Gesellschaftswissenschaften / Politikwissenschaften / Bildungswissenschaften |
Autor: | k.A. |
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Diversity zwischen Anspruch und Realität
Eine Diskussionsrunde beleuchtete die Frage, wie Hochschulen auf dem Weg zu mehr Diversität vorankommen. Die Debatte drehte sich um vielfältige Definitionen, ein neues Exzellenzverständnis und das Spannungsfeld zwischen «Safe Spaces» und akademischer Freiheit.
Ist Diversität ein gesellschaftliches Ideal oder ein bequemes Etikett? Darüber diskutierten unter der Leitung von UZH-Philosophieprofessor Christoph Halbig die Sozialpolitik-Professorin Ute Klammer (Universität Duisburg-Essen) und Rechtsprofessor Daniel Markovits (Yale Law School) in der UZH-Veranstaltungsreihe «Wer darf bei uns reden?».
Ute Klammer, Professorin für Sozialpolitik und Direktorin des Deutschen Instituts für Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung, hat mit der Umsetzung von «Diversity Policies» reichlich Erfahrung. Sie war während sieben Jahren Prorektorin für Diversity Management der Universität Duisburg-Essen, ausserdem forscht sie zum Thema.
«Mit welchen Dimensionen beschäftigen wir uns überhaupt in Wissenschaft und Forschung, wenn es um Diversität geht?», fragte Klammer. Häufig würden Dimensionen wie Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, Behinderung, Nationalität, ethnische Zugehörigkeit oder auch Religion genannt. An Hochschulen und in der Wissenschaft spielten weitere Kriterien eine grosse Rolle: Bildungshintergrund, sozialer Hintergrund, unterschiedliche Lerntypen, aber auch Fachkulturen.
Business Case oder wahre Teilhabe?
Klammer erläuterte die zwei Seiten des Begriffs Diversity: Seit den 1990er Jahren werde er häufig als «Business Case» verwendet. Diese Sichtweise betont, dass diverse Teams kreativer und effizienter arbeiten, bessere Problemlösungen finden und flexibler sind. Die Diversitätsdebatte stammt aber noch aus einer anderen Richtung, nämlich den Menschenrechts- oder Bürgerrechtsbewegungen, die eine lange Tradition haben. Die Anerkennung von Diversität dürfe nicht auf einen wirtschaftlichen Nutzen reduziert werden, so Klammer weiter: «Es geht auch um Gleichheit, Teilhabe und Gerechtigkeit.»
Im universitären Kontext bleiben nach wie vor grosse Lücken, wie Klammer anhand des «Gender Gaps» in der Wissenschaft beschrieb: Frauen haben weniger Professuren inne als Männer, sie werden seltener zitiert und für wissenschaftliche Preise nominiert.
Neuer Exzellenzbegriff
Ein zentraler Punkt in Klammers Referat war die Frage, wie Exzellenz im universitären Kontext definiert werde und ob ein erweitertes Exzellenzverständnis notwendig sei. An vielen deutschen Hochschulen orientiert sich Exzellenz hauptsächlich an messbaren Kriterien wie Publikationen, Drittmitteln und internationalen Auszeichnungen. Diese Anforderungen werden in Berufungskommissionen selten hinterfragt.
Die enge Definition von Exzellenz kann Diversität behindern, weil sie alternative Karrierewege und Formen des Engagements ausklammert. Klammer berichtete von Interviews mit jungen Wissenschaftler:innen, die den Wunsch haben, dass der Exzellenzbegriff erweitert wird, um auch Kooperation, innovative Lösungsansätze, Nachhaltigkeit und den Nutzen für die Gesellschaft zu fördern.
Klassendiversität nicht vernachlässigen
Daniel Markovits, Philosoph, Mathematiker und Rechtsprofessor an der Yale Law School, lenkte den Blick auf die strukturellen Herausforderungen und beschrieb das Problem aus amerikanischer Perspektive. Er wies auf die Hürden hin, die sozioökonomische Ungleichheit für die Hochschulbildung in den USA bedeuten. «Viele Studierende an Elite-Universitäten kommen aus der reichsten Schicht des Landes. Das führt dazu, dass die sozioökonomische Diversität auf der Strecke bleibt, obwohl die Universitäten Diversität in anderen Identitätskategorien wie Ethnie oder Geschlecht erfolgreich gefördert haben.»
Die sozioökonomische Diversität sei jedoch besonders wichtig, um sicherzustellen, dass Universitäten nicht zu «Elitenfabriken» verkommen, die lediglich den Wohlstand und die Macht der Oberschicht reproduzieren.
Safe Spaces und akademische Freiheit
Markovits kam auch auf das Spannungsfeld zwischen akademischer Freiheit und Nicht-Diskriminierung zu sprechen. Insbesondere in den USA ist die Forderung nach sogenannten Safe Spaces zum Schutz vor Anfeindungen oder Diskriminierungen weit verbreitet. «Die akademische Freiheit ist ein Grundpfeiler, aber wir müssen auch die Bedürfnisse marginalisierter Gruppen berücksichtigen und Wege finden, um beide Seiten zu integrieren», erklärte er.
Der Yale-Professor betonte, dass der Wunsch nach sicheren Räumen oft nur von Menschen kritisiert werde, die in einer dominanten Position seien und keine Diskriminierungserfahrungen gemacht hätten. Dies zeige, wie wichtig eine Differenzierung zwischen freier Rede und Inklusivität sei. Beide Werte müssten geschützt werden, ohne dass der eine den anderen aufhebt.
Markovits warnte davor, dass Diversitätsmassnahmen nur an der Oberfläche wirken, wenn sie nicht tiefere strukturelle Reformen begleiten würden: «Die Universität wird eine ganz andere sein, wenn sie wirklich inklusiv ist.»
Carole Scheidegger. Redaktorin UZH News