Rubrik im PS: | Hochschule / Rektorat / Hochschulpolitik |
Autor: | Lennart Pfahler |
Visits: | 115.367.050 |
Reichweite: | 3.845.568 |
Der nicht enden wollende Skandal um Islamberater Ahmet Ü.
Nordrhein-Westfalen
Ahmet Ü. präsentiert sich von seiner besten Seite. „Die beruflichen und akademischen Voraussetzungen der Stellenausschreibung erfülle ich“, schreibt der 1976 geborene Duisburger in einer Bewerbung. Ganz oben im Adressfeld steht „Dr. phil.“ vor seinem Namen. Es geht um eine Stelle als Lehrkraft an der Universität Duisburg-Essen in der Fakultät für Geisteswissenschaften im Fachbereich Turkistik.
Sein Lebenslauf liest sich beeindruckend. Er strotz vor Bestnoten. „Ich habe ein abgeschlossenes Hochschulstudium und das Staatsexamen für Lehramt. Im Bereich Politikwissenschaften / Sozialwissenschaften habe ich überdurchschnittlich promoviert und verfüge über sehr gute Türkischkenntnisse in Wort und Schrift“, schreibt Ü. Er ist zu jener Zeit wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ministerium für Schule und Bildung NRW, genauer im Referat Politische Bildung und Religionsgemeinschaften. Seine Vorträge und Publikationen füllen gleich mehrere Seiten.
Die Bewerbung aus dem Jahre 2017 liegt WELT vor und wer sie liest, kommt rasch zu dem Schluss: Bei Ahmet Ü. muss es sich um einen hervorragend qualifizierten Wissenschaftler handeln, eine Koryphäe. Ü. bekommt die Universitätsstelle. Drei Jahre später erhält er auch bei der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen einen Lehrauftrag. Er nennt sich nun „Dr.“ und „Prof.“. Es ist eine steile Karriere, die als Lehrer für Türkisch-Unterricht begann.
Was damals offenbar niemand wusste - außer ihm selbst: Ü.s Lebenslauf war gefälscht, ebenso wie die Urkunden seiner akademischen Abschlüsse. Ü. ist kein Professor, er besitzt keinen echten Doktortitel, er hat auch nicht die erste und zweite Staatsprüfung fürs Lehramt erfolgreich absolviert, er besitzt noch nicht einmal einen Hochschulabschluss. Viele seiner angeblichen Publikationen hat es nie gegeben. Erst 2021 kommt alles heraus, als WELT AM SONNTAG Ungereimtheiten im Lebenslauf aufdeckt und die Staatsanwaltschaft Duisburg Ermittlungen aufnimmt.
Ende Juli wurde Ü. vor dem Amtsgericht Duisburg wegen gefälschter Urkunden, Betrugs und dem unbefugten Tragen akademischer Titel verurteilt. Der 48-Jährige bekam eine zweijährige Haftstrafe auf Bewährung.
Die Geschichte Ahmet Ü.s handelt vom Aufstieg und Fall eines Hochstaplers. Sie ist aber auch hochpolitisch. Jahrelang beriet Ü. führende Politiker im Düsseldorfer Schulministerium und hielt wohl auch zeitweise engen Kontakt zur Ministerin, zumindest legen das offizielle Schreiben und öffentliche Termine nahe. Insider weisen ihm eine entscheidende Rolle bei einem der wichtigsten integrationspolitischen Projekten des Landes NRW zu: der Einführung des islamischen Religionsunterrichts.
Hat Ü. das Vorhaben korrumpiert? Und wie konnte das Ministerium auf ihn hereinfallen?
Die Rolle des Hochstaplers
Nicht alle Fragen sind bis heute geklärt. Klar ist so viel: Nachdem Ü. seit 2008 als pädagogischer Mitarbeiter für das Ministerium arbeitete und dort vom Studienrat zum Oberstudienrat und schließlich Studiendirektor (Besoldungsgruppe A15) aufstieg, arbeitete er ab 2020 als Berater für das Ministerium.
Dabei unterstützte Ü. ein heikles Unterfangen. Die Landesregierung setzte den Islamischen Religionsunterricht neu auf. Im Sommer 2019 war ein Pilotprojekt ausgelaufen. Dieses sah ein Zusammenwirken der Landesregierung mit einem islamischen Beirat vor. Juristisch war dies notwenig, da es im verfassungsrechtlichen Sinn bisher keine islamische Religionsgemeinschaft gibt, die den Religionsunterricht mitgestalten konnte.
Doch die Beiratslösung sorgte für Probleme. Vor allem ein Mitglied fiel negativ auf: der Verband Ditib, der der türkischen Religionsbehörde untersteht. 2017 kam heraus, dass Imame der Ditib mutmaßliche politische Gegner des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bespitzelt und Informationen nach Ankara geschickt hatten. Nach Bekanntwerden ließ die Ditib ihren Sitz im Beirat ruhen. Ein Ausschluss wäre nach bisheriger Regelung nicht möglich gewesen.
Das Schulministerium strebte einen Neuanfang an. Statt eines Beirats wollte man eine Kommission gründen – mit vertraglich fixierten Regeln, denen alle Beteiligten unterliegen. Dabei war man gewillt, Ditib eine zweite Chance zu geben. Ü. half fortan, den umstrittenen Verband wieder einzugliedern. Das zeigen interne Dokumente aus dem Schulministerium, die WELT vorliegen.
Am 1. April 2020 schrieb Ü. an seine Kollegen im Ministerium: „Mein Gespräch mit dem Ditib-Vorsitzenden und dem Vorstand fand am 18.12.2018 statt.“ In dem Gespräch sei es darum gegangen, „dass die DITIB ‚Selbstkritik‘ äußert und ihre Bereitschaft zur ‚Veränderung‘ darstellt“, schrieb Ü. Dies habe der Verband, so Ü., getan – „wenn auch sehr wage“ – womit „vage“ gemeint ist.
Zudem habe der Landesverband von Ditib Satzungsänderungen vollzogen, um die Eigenständigkeit von der türkischen Regierung zu gewährleisten. Im Protokoll eines späteren Austauschs mit Ditib heißt es: Der Verband sei bereit, „Fehler zu korrigieren“.
Ü. pflegte gute Verbindungen zu einer Duisburger Ditib-Gemeinde (in der Vergangenheit hatten Medien ihn sogar als Ditib-Funktionär bezeichnet, was Ü. zurückweist) sowie zum türkischen Konsulat und nutzte diese Nähe offenbar, um dem Verband Zugeständnisse abzuringen. Laut Protokollen versprach Ditib etwa eine „kooperative personelle Besetzung“ des Beirats. Im Ministerium präsentierte Ü. sich derweil als moderater Kritiker des Verbandes. Wichtig sei, schrieb er am 30. April 2021 an eine Person im Schulministerium, dass „wir mindestens ein protokolliertes Gespräch über ‚mögliche oder sogar zu erwartende Fehltritte von DITIB‘ führen und die Konsequenzen (Kündigung des Vertrages und Beendigung der Zusammenarbeit) deutlich machen“.
Die Beteiligung von Ditib an der neu gegründeten Kommission sorgte für entsetzte Reaktionen aus der Bundespolitik. Der heutige Grünen-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir etwa warnte: „Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und die CDU dort haben dafür gesorgt, dass Erdogan Zugang zu deutschen Schulen bekommt. Das ist unfassbar.“
Im Schulministerium NRW war man trotz des Gegenwinds lange von der guten Arbeit Ü.s überzeugt. Dieser habe „im Interesse eines gelingenden Unterrichtsangebots eine differenzierte und abwägende Haltung eingenommen“, erklärt ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage im Sommer 2021. Mittlerweile äußert sich das Ministerium missfälliger. Ein Sprecher erklärt: Im Lichte der neuen Erkenntnisse seien „sowohl die Zusammenarbeit von Ü. mit dem Schulministerium wie auch die Kumulation verschiedener Tätigkeiten von Herrn Ü. rückblickend neu und somit kritisch zu bewerten“.
Die Getäuschten
Kritisch blickt man in der Behörde wohl auch auf eine andere Tatsache: Die gefälschten Dokumente, die Ü. für seinen ungewöhnlichen Aufstieg brauchte, hatte das Ministerium einst beglaubigt. Das Original einer von Ü. 2009 vorgelegten Promotionsurkunde, so ein Sprecher, sei nicht auf Echtheit überprüft worden. Es hätten damals „keine Zweifel“ bestanden.
Und das, obwohl bereits der Titel der angeblichen Arbeit einen Fehler enthielt. Diese hieß „Die türkische Außen- und Europapolitik zwischen den EU-Gipfeln in Helsinki und Kopenhagen (1999-2005)“. Der EU-Gipfel im Jahre 2005 fand jedoch in Brüssel statt. Kopenhagen hatte die Veranstaltung 2002 ausgerichtet.
Auch an der Universität Duisburg-Essen kam Ü. mit seinen Fälschungen problemlos durch. Die Bewerbung von Ü. aus dem Jahre 2017 bekam Prof. Dr. Haci Halil Uslucan auf den Tisch. Uslucan leitet das Institut für Turkistik der Uni. Bei der Bewerbung lagen „eine beglaubigte Kopie der Promotionsurkunde, ein sehr qualifiziertes Zeugnis seitens des Ministeriums (seines Arbeitgebers) sowie ein fachlich ordentliches Exposé samt Aufstellung seiner bislang durchgeführten Lehrveranstaltungen. Das alles hatte ihn formal für die abgeordnete Stelle an der Uni qualifiziert“, teilte Uslucan auf Anfrage mit.
Ü. habe im „mündlichen Diskurs äußerst eloquent und belesen“ gewirkt. „Ein Zweifel an seinen akademischen Fähigkeiten kam mir nicht auf“, erklärt Uslucan.
Auch Üs. damalige Abteilungsleiterin im Ministerium, Susanne Blasberg-Bense, betont, dass sie erst nach den ersten Presseberichten von dem Verdacht gegen Ü. erfahren habe. Sie ist inzwischen Dezernentin für Jugend, Familie und Sport der Stadt Hannover“. Blasberg-Bense betont, dass sie Ü. nicht vor ihrem Wechsel ins Ministerium 2016 gekannt habe. Auch sie war offenbar auf Ü. hereingefallen.
Nach einem ersten kritischen WELT-Bericht sprang Blasberg-Bense Ü. in einer Mail an Beamte des Schluministeriums zur Seite. „Dass man versucht, Herrn. Prof. Ü. zu diskreditieren, kennen wir bereits“, schrieb die damalige Abteilungsleiterin. In der Debatte um den Islamunterricht seien vor allem „kurdisch geprägte Kräfte aktiv“.
Die Fälschungen
Die fabrizierten Zeugnisse von Ü. sind indes nicht die einzigen Dokumente, die politischen Zündstoff bieten. Im Gerichtsprozess gegen Ahmet Ü. kam noch eine andere mutmaßliche Fälschung zur Sprache. So sei bei Ermittlungen zu dem Berater eine sogenannte Idschaza, eine Lehrerlaubnis für den islamischen Religionsunterricht, aufgetaucht, die offenbar nicht vom Beirat ausgestellt worden war.
Nach Aussage einer früheren Beiratsvorsitzenden vor Gericht hätte sie als Einzige eine solche Lehrerlaubnis per Unterschrift legitimieren dürfen. Lehrer müssen zum Erhalt einer Idschaza ein abgeschlossenes Lehramtstudium und ein Referenzschreiben einer Moscheegemeinde nachweisen.
WELT erfuhr aus dem Umfeld des Schulministeriums, dass Mitglieder des Beirats vor einigen Jahren Ahmet Ü. verdächtigten, fälschlicherweise mindestens eine Idschaza ausgestellt zu haben. Der Vorgang sei dem Ministerium mitgeteilt worden. Eine Reaktion blieb demnach aus. Auf Anfrage teilte das Ministerium nun mit, man habe durch den Prozess „Kenntnis von einer gefälschten Lehrerlaubnis im Bereich der Bezirksregierung Münster aus dem Jahr 2019 erhalten“.
Nachdem die Bezirksregierung Münster im Herbst 2021 erste Zweifel an der Echtheit der vorliegenden Idschaza angemeldet habe und die Kommission eine Fälschung im Dezember 2021 bestätigte, sei die betreffende Lehrkraft nicht mehr im islamischen Religionsunterricht eingesetzt worden. Die Urheberschaft des gefälschten Dokumentes sei dem Schulministerium jedoch nicht bekannt.
Ebenso unklar ist, ob es sich um einen Einzelfall handelt. Das Schulministerium hat nach WELT-Information aktuell eine Überprüfung aller Lehrerlaubnisse für den islamischen Religionsunterricht durch die personalaktenführende Schulaufsicht bei den Bezirksregierungen veranlasst. Mehrere Hundert Lehrer stehen damit auf dem Prüfstand.
Der Skandal um das Geld
Ahmet Ü.s falsches Spiel fiel wohl auch deshalb nicht auf, weil der Deutsche mit türkischen Wurzeln es geschickt verstand, die nötige Etikette zu wahren. Ehemalige Weggefährte beschreiben ihn als „enorm freundlich“, als kompetent, nahezu aalglatt. Seine Lügen gingen wohl schnell nahtlos in das Selbstverständnis des Mannes über, der sich vor Gericht eine „Gier nach Anerkennung“ eingestand. Der in Tränen ausbrach, nur um dann weitere Unwahrheiten zu erzählen, die er im Verlaufe der Verhandlung geraderücken musste.
Ü. betonte vor Gericht, dass sein Betrug über 20 Jahre lief. Durch seinen Aufstieg bis zum Studiendirektor erhielt er zwischen 2009 und 2021 ein Entgelt von insgesamt etwa 711.000 Euro brutto. Die Staatsanwaltschaft sprach von einem „rechtswidrigen Vermögensvorteil“.
Der Ankläger hatte im Plädoyer beantragt, dass Ü. das Geld zurückzahlen müssen, doch damit hatte er keinen Erfolg. Wegen eines Bescheids der Bezirksregierung Düsseldorf, einer Mittelbehörde des Landes, waren der Vorsitzenden Richterin die Hände gebunden. Die Bezirksregierung hatte Ü. im September 2021 mitgeteilt, dass das Beamtenverhältnis zwar beendet sei, dass aber keine finanziellen Rückforderungen gestellt würden, weil Ü. seine Arbeitskraft erbracht habe.
Das sorgt nun für einige Empörung in der NRW-Landespolitik. „Die Entscheidung der Bezirksregierung Düsseldorf, keine finanziellen Rückforderungen zu stellen, ist ein Skandal“, erklärt die FDP-Landtagsabgeordnete Franziska Müller-Rech auf WELT-Anfrage.
Es stehe außer Frage, dass Ü. für seine Arbeitsleistungen entlohnt werden müsse – aber: „Hätte man ihn auf Grundlage seines tatsächlichen Lebenslaufs eingestellt, hätte er deutlich weniger verdient. Die Differenz zwischen der tatsächlichen und der erschlichenen Besoldungsstufe muss von ihm zurückgefordert werden. Alles andere wäre eine Farce und ein Schlag ins Gesicht aller ehrlichen Landesbediensteten“, betont Müller-Rech. „Die Botschaft muss klar sein: Betrug darf sich niemals lohnen.“
Auch die SPD fordert Konsequenzen. Für Fraktionschef Jochen Ott ist es „aus der jetzigen Perspektive nicht nachvollziehbar“, dass die Bezirksregierung auf finanzielle Rückforderungen verzichtet hat. Deshalb will die SPD die Landesregierung dazu befragen.
Auf WELT-Anfrage beruft sich die Bezirksregierung darauf, dass es sich bei dem Verzicht 2021 um eine „Ermessenentscheidung“ im Sinne des Landesbeamtengesetzes gehandelt habe. Es hätten keine Hinweise dafür vorgelegen, dass Ü. seiner Pflicht als Beamter in einer Weise nicht nachgekommen wäre, die eine Rückforderung rechtssicher gerechtfertigt hätten.
Gleichwohl nehme man das Urteil zum Anlass, „zu prüfen, ob nun ein veränderter Sachstand vorliegen könnte, der für eine Rückforderung der Bezüge in Betracht kommt“, erklärt eine Sprecherin.
WELT-Recherchen legen nahe, dass das NRW-Schulministerium in die Entscheidung, auf eine Rückforderung zu verzichten, eingebunden war. Nach Auskunft des Ministeriums nahm die Bezirksregierung im Vorfeld Kontakt „zu einzelnen Personen auf verschiedenen Leitungsebenen des Schulministeriums“ auf. Namen nennt das Ministerium keine. Die Bezirksregierung ihrerseits spricht von einem Austausch mit „zuständigen Personen des Schulministeriums NRW“.
Ü.s Anwalt ließ eine Anfrage an seinen bisherigen Mandanten unbeantwortet. Ü. arbeitet wieder, wie er vor Gericht schilderte. Er ist bei einem Unternehmen in der Türkei angestellt und macht dort, wie er sagte, „Wirtschafts- und Politikberatung im groben Sinne“.
Wir sind das WELT-Investigativteam: Sie haben Hinweise für uns? Dann melden Sie sich gerne, auch vertraulich – per E-Mail oder über den verschlüsselten Messenger Threema (BNJMCK4S).