Rubrik im PS: | Wirtschaftswissenschaften |
Autor: | Bastian Brinkmann |
Auflage: | 133.119 |
Reichweite: | 371.402 |
Quellrubrik: | Politik |
Eine heikle Formel
Warum das Bürgergeld bei 563 Euro liegt – und ob die Politik es kürzen kann. Antworten auf wichtige Fragen.
Es beginnt mit einer Umfrage. Alle fünf Jahre zieht das Statistische Bundesamt los und befragt die Deutschen, wofür sie Geld ausgeben. Von den Resultaten hängt dann ab, wie hoch das Bürgergeld ausfällt. Dabei werden einige besondere Faktoren berücksichtigt.
Wie wird das Bürgergeld berechnet?
Für die Berechnung des Bürgergelds werden die Ausgaben der ärmsten Arbeitnehmer herangezogen. Davon ausgehend wird die Grundsicherung berechnet, damit sie möglichst nah am echten Leben ist. Allerdings werden die Ausgabendaten nicht eins zu eins übernommen, sondern noch mal reduziert. Zum Beispiel werden die gemessenen Ausgaben für Camping, Pflanzen, Haustiere und Glücksspiel gestrichen, erläutert Dorothea Voss, wissenschaftliche Leiterin des Portals Sozialpolitik-aktuell.de der Universität Duisburg-Essen. Übrig bleiben dann die 563 Euro für Alleinstehende. Miete und Heizkosten übernimmt der Staat getrennt davon, für den Rest muss das Geld reichen.
Wie unterscheidet sich die Berechnung von der bei Hartz IV?
Da die amtliche Statistik, wie viel Geld die Deutschen ausgeben, nur alle fünf Jahre erhoben wird, muss die Datenlücke gefüllt werden: Die Zahlen werden statistisch fortgeschrieben. Diese Methode führte vor dem Bürgergeld aber dazu, dass die Grundsicherung, damals noch als Hartz IV bekannt, oft langsamer stieg als die Inflation. Die Betroffenen konnten sich weniger leisten als eigentlich gewollt. In der Bürgergeldreform wurde daher beschlossen, die Inflation schneller zu berücksichtigen. Weil von April bis Juni 2023 die Preise noch um mehr als sechs Prozent schmerzhaft stiegen, fiel die Bürgergelderhöhung 2024 im historischen Vergleich hoch aus. Voss von Universität Duisburg-Essen findet es richtig, die Inflation zügiger als früher zu berücksichtigen: "Wie sollen Menschen überleben, wenn sie so hohe Preissteigerungen verkraften sollen?" Dass in der zweiten Jahreshälfte 2023 der Inflationsdruck deutlich nachließ, wurde in der Berechnung für 2024 nicht mehr berücksichtigt.
Wird das Bürgergeld jetzt gekürzt?
Das ist ein Vorschlag der FDP, der in der Ampel keine Mehrheit hat. Ihre Idee: Um die stark gefallene Inflation auszugleichen, könnte das Bürgergeld nächstes Jahr um 14 bis 20 Euro gekürzt werden. Das geltende Gesetz sieht einen anderen Weg vor. Eine zu starke Steigerung wird im Laufe der Zeit automatisch abgeschmolzen, denn sie wird im nächsten Jahr verrechnet. 2025 wird voraussichtlich genau das passieren. Das Bundesarbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) erwartet, dass das Bürgergeld nicht steigen wird – obwohl die Inflation wohl nicht auf null Prozent fallen wird. Mit 563 Euro kann man sich somit 2025 etwas weniger leisten, Preisentwicklung und Bürgergeld gleichen sich wieder an.
Ist die Bürgergeld-Formel fair?
Das ist Ansichtssache. Mit der alten Berechnungsmethode stieg die Grundsicherung zwischen 2005 und 2015 immer langsamer als die Inflation. Und Preissprünge wie in den Jahren 2022 und 2023 waren in der Bundesrepublik bisher glücklicherweise die Ausnahme. Neben der Inflation berücksichtigt die Bürgergeld-Formel auch noch die Löhne. Diese steigen in einer Volkswirtschaft über Dekaden betrachtet in der Regel schneller als die Preise. Auch ohne Traumkarriere kann man sich daher heute ein bequemeres Auto und einen größeren Fernseher leisten als vor 30 Jahren. Dieser Wohlstandseffekt soll teilweise auch bei Menschen in der Grundsicherung ankommen. Zu 30 Prozent werden die steigenden Löhne in der Fortschreibung berücksichtigt. "Die Leistungsbezieher bleiben damit angekoppelt an den Rest der Gesellschaft. Das ist ein Aspekt der Teilhabe", sagt Voss.
Könnten es weniger als 563 Euro sein?
Die Grundsicherung darf nicht zu niedrig sein, sagt das Bundesverfassungsgericht. Karlsruhe überlässt die genaue Höhe der Politik, gibt aber Grenzen vor. Der konkrete Bedarf müsse herangezogen werden, vor allem für Grundbedürfnisse wie Lebensmittel. Mehr Spielraum hat die Politik bei gesellschaftlichen und kulturellen Aktivitäten. Keinesfalls darf verfassungsrechtlich die "Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums" unterschritten werden. Auch diese Grenze zieht das Gericht nicht in Euro. Das Bundesarbeitsministerium teilt auf Anfrage mit, dass dort ebenfalls keine Angaben dazu vorlägen. "Berechnungen zur Höhe der Regelbedarfe, die nicht auf geltendem Recht beruhen, wären beliebig und werden vom Ministerium nicht durchgeführt", heißt es.
Bastian Brinkmann