Rubrik im PS: | Geisteswissenschaften / Gesellschaftswissenschaften / Politikwissenschaften / Bildungswissenschaften |
Autor: | Christine Leitner |
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Ist China grüner als sein Ruf?
Kein Land der Welt stößt soviel Treibhausgase aus wie China. Gleichzeitig peitscht die Regierung in Peking die Klimawende durch. Über ein Land auf einem zweigleisigen Weg ins Grüne
Ein Mann mit Kleinkind radelt an einem Plakat vorbei, das schon 2010 für die grüne Wende in China warb © IMAGO
von Christine Leitner
5 Min.
China steht vor einer Mammutaufgabe: Das Land mit dem weltweit höchsten CO2-Ausstoß möchte bis 2060 klimaneutral werden. Der Anteil erneuerbarer Energien am chinesischen Strommix ist zuletzt so stark gestiegen wie sonst nirgendwo auf der Welt. Mit klimaschonenden Technologien flutet Peking die internationalen Märkte und trägt damit global zur grünen Wende bei. Gleichzeitig hält das Land an der schmutzigen Kohle fest und stellte mit seinen Treibhausgasemissionen in den vergangenen Jahren immer neue Rekorde auf.
Wie passt das zusammen? Und kann China den grünen Pfad bis zum Ende gehen oder wird es scheitern?
Aus Umweltschutz wird Industriepolitik
Als Deutschland in den 1970er-Jahren nach der Ölkrise ernsthaft über Alternativen zu den fossilen Energieträgern nachdachte, schielte China neugierig gen Westen. Bis zur Jahrhundertwende steckte die Debatte um klimaschonende Alternativen dort aber noch in den Kinderschuhen, Vorrang hatte das Ziel, möglichst viele Chinesen zu Wohlstand zu bringen. Umweltziele wurden in den Fünfjahresplänen von Partei und Staat zwar erwähnt, waren aber nie bindend. Die schädlichen Folgen des kohlebasierten Wirtschaftswunders konnte die Kommunistische Partei lange ignorieren, auch weil der Sektor Millionen Menschen aus der Armut holte.
Ähnlich wie in der Nachkriegszeit im Westen litten die Chinesen aber unter der erheblichen Luftverschmutzung, vor allem in den Ballungszentren. Für die Städter war das teilweise so unerträglich, dass es 2003 zu Massenprotesten gegen die Schadstoffbelastung in der Luft und in Gewässern kam. Die Parteiführung kam nicht mehr drumherum, die Umweltauflagen verpflichtend in ihren Fünfjahresplänen aufzunehmen.
Seitdem werden Regionalregierungen daran gemessen, ob sie die Grenzwerte für gesundheitsschädliche Stoffe und Gase in der Luft und in Gewässern einhalten. Zusätzlich entdeckte China, dass die grüne Transformation auch ein Wirtschaftstreiber sein kann: Mit billigen Krediten und hohen Subventionen überzeugte die Parteiführung Unternehmen von den erneuerbaren Technologien und zweigt dafür mittlerweile sogar Investitionen aus dem krisengebeutelten Immobilienmarkt ab.
"Die Mischung aus Industriepolitik, Regulierung und knallharten Vorschriften hat dazu geführt, dass erneuerbare Energien jetzt zum wichtigen Wirtschaftsfaktor in China geworden sind", sagt Politikwissenschaftlerin Genia Kostka, die sich an der FU Berlin mit dem Thema beschäftigt. In einigen Regionen sei dagegen die Arbeitslosenquote gestiegen und das Wirtschaftswachstum eingebrochen, weil einige Industrien und Kohlekraftwerke geschlossen wurden. "Gleichzeitig hat man gehofft, dass die grüne Transformation solche Nebenwirkungen abfedert."
Mit den "neuen Drei" an die Spitze der internationalen Märkte
Fachleuten streiten derweil, ob der Kampf gegen den Klimawandel mit diesem sogenannten ökologischen Autoritarismus gewonnen werden kann. China-Beobachter Nis Grünberg beschäftigt sich am Mercator Institute for China Studies (Merics) mit der nachhaltigen Entwicklung des Landes und sagt: "Man braucht einfach den politischen Willen und muss dafür auch das Geld in die Hand nehmen und investieren."
Das bekommt der Westen gerade auf den internationalen Märkten zu spüren: Mit den sogenannten "neuen Drei" - Batterien, Solarzellen und E-Autos - hat sich China zum globalen Produktionszentrum gemausert und innerhalb weniger Jahre an die Spitze der internationalen Märkte katapultiert.
Über zwei große Programme fördert die chinesische Regierung vor allem den Ausbau der Solarenergie. 15 der insgesamt 22 Provinzen sind daran beteiligt. 2023 stieg die Zahl der Anlagen in dem Land so stark wie nie zuvor, berichtet das Thinktank Carbon Brief. Einen Großteil der Paneele exportierte China nach Afrika und in südasiatische Länder. Mit der subventionierten Technik hat China die internationalen Preise drastisch gedrückt: Die Kosten für Solarenergie fielen im vergangenen Jahr um 40 Prozent, Batterien waren nur noch halb so teuer wie im Jahr zuvor.
Auch für Windkraftwerke war 2023 ein Rekordjahr, schreiben die Experten von Carbon Brief. Allerdings setzt Peking dabei eher auf die Wiederbelebung alter Windfarmen, bei denen nur die Turbinen ersetzt werden. Neue Windprojekte werden kaum noch staatlich gefördert, weil die hohen Preise beim Rohmaterial die Profite drücken würden.
Etwas lockerer sitzt laut Carbon Brief das Geld wieder für Elektrofahrzeuge. Käufe werden seit 13 Jahren subventioniert, das Angebot ist entsprechend groß: Im ganzen Land gibt es laut Carbon Brief 94 E-Automarken mit mehr als 300 Modellen. 25 bis 30 Prozent der Neuzulassungen im Land sind E-Autos, in den kommenden Jahren soll der Antweil weiter steigen. Dafür hat Peking die nötige Infrastruktur ausbauen lassen: 2022 waren 80 Prozent der Megacitys und 65 Prozent der landesweiten Autobahnraststätten mit Ladestationen ausgestattet.
Chinas Achillesferse
Erstmals seit der Coronapandemie konnte China dadurch seine Treibhausgasemissionen senken, zeigt eine Analyse der finnischen Forschungsgruppe Centre for Research on Energy and Clean Air. Wegen der Bau- und Immobilienkrise sinkt zudem der Bedarf an den besonders klimaschädlichen Zement- und Stahlindustrien, während Solar- und Windkraftanlagen weiter ausgebaut werden. Sie machen aber nur 15 Prozent des chinesischen Strommixes aus. Theoretisch könnten die vorhandenen Anlagen mehr Strom ins Netz pumpen. Praktisch funktioniert das aber nicht, weil der Ausbau der Stromtrassen stockt.
Die Anlagen können den immensen Energiebedarf des Landes nicht ansatzweise decken, weshalb Peking weiterhin an den fossilen Ressourcen festhält. Über 60 Prozent des gesamten Energiebedarfs in China wird mit Kohle gedeckt, mehr als ein Viertel werden mit Öl und Gas hergestellt, zeigen Daten der Internationalen Energieagentur (IEA). China bleibt damit weltweiter Spitzenreiter beim Ausstoß an Treibhausgasen.
Wie realistisch sind Chinas langfristige Klimaziele?
Ob sich das ändern wird? China-Experten sind sich unsicher. Kohle gilt nach wie vor als verlässlichste Energiequelle und sichert fast drei Millionen Arbeitsplätze. Auch von Öl- und Gasimporten wird sich China bis 2060 kaum verabschieden. "Der Energiebedarf in dem Land ist ungebrochen hoch und wird weiter steigen", prognostiziert Kostka. Solar- und Windkraft sollen die Nachfrage zusätzlich befriedigen, die fossilen Energieträger werden sie wohl niemals ganz ablösen. Außerdem hat das Land im ersten Halbjahr 2023 pro Woche mindestens zwei neue Kohlekraftwerke genehmigt.
Das Land plant zwar ernsthaft seine Emissionen ab 2030 senken. Mit der rigorosen Klimapolitik könnte die Führung in Peking das Ziel bereits im kommenden Jahr erreichen, schätzen Forscher. Danach könnte es das aber schon gewesen sein mit den Ambitionen. Experten des Thinktanks Climate Action Tracker befürchten, dass sich Chinas Treibhausgasausstoß danach auf einem minimal niedrigeren Niveau weiterbewegt. Netto-Null-Emissionen sind in dem Szenario unrealistisch.
"Technisch gesehen wäre das Klimaziel 2060 für China aber erreichbar", glaubt Grünberg. Dafür müsste China die Restemissionen mithilfe von Geoengineering-Methoden aus der Luft entfernen. Allerdings ist die Kohlenstoffspeicherung im Meer oder unter der Erde (CCS) weltweit umstritten, weil unklar ist, ob Kohlenstoff wirklich ohne Weiteres unterirdisch gelagert werden kann. Aber ganz vielleicht gibt es bald im Westen dafür eine Lösung - die China dann marktreif macht.
Dieser Artikel ist eine Übernahme des Stern, der wie Capital zu RTL Deutschland gehört. Auf Capital.de wird er zehn Tage hier aufrufbar sein. Danach finden Sie ihn auf www.stern.de.