Freies Wort, Bad Salzungen vom 06.02.2024, S. 7 (Tageszeitung / täglich außer Sonntag, Bad Salzungen)
Rubrik im PS: | Wartburg-Stiftung |
Auflage: | 4.717 |
Reichweite: | 10.236 |
Ressort: | H_LoFWSLZ |
"Demokratie macht sehr viel Arbeit..."
"... aber es geht nicht anders", sagt Wartburgkreis-Landrat Reinhard Krebs. Im Interview spricht er über Beschwerdebriefe von Bürgern, massiv gestiegene Sozialausgaben und verrät, was er als Fachmann von den Bauernprotesten in der Region hält.
Abbildung: In fünf Monaten ist nach langjähriger Amtszeit Schluss: Wartburgkreis-Landrat Reinhard Krebs.
Heiko
Vor knapp einem Jahr haben wir im Interview auf das "Krisenjahr 2022" zurückgeblickt. Wie würden sie 2023 bezeichnen? Diese Frage lässt sich nicht in einem Satz beantworten. Aber: Das vergangene war das Vorlaufjahr für 2024, das noch turbulenter wird in politischer Hinsicht. Die Coronazeit ist in den Hintergrund gerückt, wir kamen aus dem Krisenmodus raus. Aber viele Herausforderungen, auch durch weltpolitische Ereignisse, die sich bis ins lokale Geschehen niederschlagen, bleiben.
Es gibt Herausforderungen in der Wirtschaft, wo auf Bundes-, Landes- und lokaler Ebene Lösungen gesucht werden. Die Wirtschaft ist unsere wichtigste Grundlage. Ohne sie gibt es keine Steuereinnahmen, und ohne diese keinen soliden Haushalt für Gemeinden und den Kreis. Trübe Wirtschaftsaussichten sind bundesweit Thema. Haben Sie das auch im Wartburgkreis beobachtet? Und wo sehen Sie positive Entwicklungen? Wir haben hier immer noch eine gute Basis, auch wenn wir den Fachkräftemangel spüren. Der demografische Wandel wird in den kommenden Jahren richtig einschlagen. Es werden schlicht Menschen fehlen, die bestimmte Aufgaben erfüllen. Ich bin dankbar und stolz, dass wir eine gut aufgestellte Verwaltung haben.
Und es gibt Grund, nach vorn zu schauen: Wir haben einen Haushalt, wir können durchstarten. Und der Kreis wird in diesem Jahr wieder Millionen in die Infrastruktur und die Schulen investieren. Vergangenes Jahr waren es mehr als elf Millionen Euro. Stichwort Demografie: Bei einem Treffen in Ruhla mahnten Wirtschaftsvertreter Ende 2023, wie wichtig Zuwanderung für den Erhalt der Wirtschaftskraft sei, und forderten, Hürden für die Fachkräftegewinnung zu senken. Wir brauchen Zuwanderung. Das sehe ich am eigenen Beispiel. Ich gehe regelmäßig zur Behandlung in eine Klinik. Vor zehn Jahren waren dort deutsche Ärzte, inzwischen betreut mich ein Mann, der aus Syrien stammt – und macht das sehr gut.
Ich habe mich oft gefragt: Was wäre, wenn diese Menschen nicht da wären? Wir haben hier eine zunehmende Zahl von Fachkräften aus dem Ausland und sollten sie willkommen heißen. Deutschland hat nach wie vor ein gutes Ansehen als Arbeitsort. Man kommt gerne hierher, kann gut verdienen. Es gib aber leider Kräfte, die meinen, es sollte anders laufen. Das Jahr hat turbulent begonnen mit Protestaktionen von Bauern gegen die Politik der Bundesregierung. Sie sind gelernter und studierter Agrartechniker – wie haben Sie das bisher verfolgt? Auch mit Blick auf eine Vereinnahmung von rechts, gegen die sich der Bauernverband wehrt. Es gibt Demonstrationen zu so vielen Themen zurzeit. Und der Eindruck dabei bleibt: Die Stimmung in Deutschland ist momentan schlecht.
Das zeigt sich auch daran, dass ich Schreiben von Bürgern bekomme, die sich über den Bundeskanzler beschweren. Was mich hoffnungsvoll stimmt: Die Menschen haben laut Umfragen zwar ein Problem mit der Demokratie – aber nicht dem Prinzip an sich, sondern mit der Umsetzung. Es besteht der Eindruck, die Politik regiert an den Menschen vorbei. Und ja: Es gibt Überregulierung und viel Reglementierung. Aber man muss differenziert auf die Dinge schauen. Und die Bauern? Hier bin ich sehr enttäuscht; mir fehlt ein klares Bekenntnis zur Landwirtschaft. Die Bauern werden vorgeführt, wenn man ihnen finanzielle Mittel streichen will, aber nicht zugleich Strategien für die Zukunft entwickelt. Nur etwas nehmen und nicht vorschlagen, wie man anderswo helfen kann, bringt eine Schieflage.
Was im Moment zutage tritt bei den Demonstrationen, ist der vorläufige Schlusspunkt einer jahrzehntelangen Entwicklung. Die Landwirtschaft wird gesellschaftlich nicht genug wertgeschätzt. Die Bauern sind es, die unsere Ernährungsgrundlage bilden. Aber sie sind zugleich Tier- und Landschaftspfleger. Rund um Demos gab es auch extreme Ausdrucksweisen. Auf einem Feld bei Dermbach haben Protestierer einen Galgen mit Ampelsymbol aufgestellt? Ist so was okay? Das darf nicht passieren, es geht zu weit. Ich weiß, dass Betriebe schon Probleme damit hatten, dass Rechtsextreme versuchten, sich einzumischen. Die Landwirtschaftsunternehmer aber sind vernünftige Leute; sie wollen damit nichts zu tun haben. Der Kreistag hat Ende 2023 den Haushalt beschlossen.
Die Ausgaben im Sozialbereich sind massiv gestiegen. Hat Sie das überrascht? Und lag das nur an den Folgen von Corona und dem Ukraine-Krieg? Der Anstieg der Sozialkosten ist verbunden mit der Inflation und allgemeinen Kostensteigerungen. Zwei Drittel der Gesamtausgaben für Sozialaufgaben – das geht nicht auf Dauer und bedeutet bereits jetzt eine große Unwucht. Ich als Landrat kann das nicht selbst korrigieren. Im Sozialbereich sind wir die ausführende Verwaltung mit Fürsorgepflicht für die Bürger. Wie setzen also nur um, was wir vorgegeben bekommen. Daher muss vielmehr auf Landes- und Bundesebene dringend besprochen werden, wie sich das ändern lassen kann. Wenn sich die Unwucht weiterentwickelt, lässt sich irgendwann nicht mehr in Schulen und Straßen investieren.
Droht es nicht im kommenden Jahr wieder so werden? Was kann der Kreis jetzt tun, um zumindest gegenzusteuern? Wir sind diesbezüglich immer in Gesprächen mit dem Land. Die Kreise fordern, dass bei gesetzgeberischen Entscheidungen in den Sozialbereichen genau hingeschaut wird. Denn: Als Verwaltung müssen wir uns im gesetzlichen Rahmen bewegen und haben dort selbst keine großen Spielräume für Entscheidungen. Das hat auch der erste AfD-Landrat, der seit Mitte 2023 in Sonneberg im Amt ist, schon merken müssen.
Wobei sich zeigt: Politik besteht nicht nur aus einfachen Parolen, sondern aus genauen Überlegungen, was ein Staat leisten kann und muss. Er kann selbstverständlich nicht alles übernehmen – die Menschen müssen wissen, dass sie auch selbst gefordert sind. Zugleich ist der Blick auf den Einzelfall wichtig, und in manchen Fällen geht es nicht unbedingt gerecht zu. Das macht es komplex und schwierig. In Deutschland gibt es inzwischen ein Sozialstaatsgebilde, bei dessen Fülle selbst der Gesetzgeber wohl nicht mehr ganz durchblickt. Man sollte in Erfurt und Berlin genauer hinschauen, wo es neue Herausforderungen gibt, auf die reagiert werden muss. Zugleich muss überlegt werden, wo man Leistungen wieder zurückfahren kann.
Das passiert nicht. Die Dimension, die sich entwickelt, kann kein Staatssystem dauerhaft verkraften. Dauerstreitthema zwischen Kommunen und Land sind Geflüchtete. Vor einem Jahr gab es die Idee eines Modellprojekts im Wartburgkreis, wonach das Land neu gebaute Flüchtlingsunterkünfte finanzieren könnte. Was wurde daraus? In Sachen Modellprojekt ist bisher nichts weiter passiert. Auch, weil diese Überlegung abhängig von Entscheidungen der Landesregierung ist und dort Geld fehlt. Wir als Kreis haben bereits unsere Herausforderungen mit der Bewirtschaftung der bestehenden Infrastruktur, die dank unserer eigenen zuständigen Sozialen Dienstleistungsgesellschaft bewältigt wird. Ich bleibe also dabei: Das Land muss das Thema Migration als Daueraufgaben verstehen, denn es wird uns auch noch in zehn Jahren beschäftigen.
Das Land überträgt uns die Verantwortung, also sollten auch dauerhaft Voraussetzungen geschaffen werden, das bewältigen zu können. Das ist bisher ein hehrer Wunsch. Eisenach soll Thüringer Oberzentrum werden. Bei dem Thema gab es jüngst wieder Wirbel: Schmalkalden und Meiningen könnten nun doch auch in das geplante Oberzentrum im südthüringer Raum um Suhl integriert werden. Ist der Plan für die Wartburgstadt gefährdet? Eisenach hat einen großen Vorteil, etwa die Anbindung an Autobahn und ICE-Bahnnetz. Ich sehe das gelassen; es gibt nichts, das Eisenachs Position gefährdet. Vom Anspruch her ist die Stadt aus meiner Sicht bereits Oberzentrum – wobei wir das Thema schon seit vielen Jahren diskutieren.
Vielmehr stellt sich die Frage, wie man ein solches weiter mit Leben erfüllen kann. Es geht nicht nur um die Straßenanbindung, sondern etwa auch um Landesbehörden, die dort angesiedelt werden sollten. Die Eröffnung einer German Professional School zuletzt – einer Landeseinrichtung – war ein Schritt hin, den Status zu unterfüttern. Für mich ist wichtig, dass Eisenach und die Kreisstadt Bad Salzungen die tragenden Städte des Kreises sind. Und, dass es eine bessere Verbindung zwischen beiden über einen Ausbau der B 19 gibt. Es gibt also noch einige Strukturfragen zu klären. Sie waren 2023 zum Besuch in Litauen, im Partnerkreis Kelmé. Wie hat sich die Nähe zu Russland dort angefühlt? Wir haben zu Kelmé ein gutes Verhältnis, Litauen ist ein wunderschönes Land.
Die Menschen sind von einem freiheitlichen Europa geprägt. Natürlich gibt es Ängste angesichts des Krieges gegen die Ukraine. Inzwischen hat sich dieser verhärtet, dass ein Ende kaum absehbar ist. Es ist paradox: 2005 bekam Michail Gorbatschow, also ein früherer russischer Präsident, im Wartburgkreis den Point-Alpha-Preis verliehen, weil er eine Chance für Frieden gesehen hat. Heute herrscht Demagoge Putin in Russland, und was er macht, kann niemand einschätzen. Das historische Fenster für Frieden hat sich geschlossen. Es ist tragisch. Und das spüren selbstverständlich auch die direkten Nachbarn. Thüringen steht ein Super-Wahljahr ins Haus. Zuletzt gab es Diskussionen um die Erfolgsaussichten der AfD und zugleich Proteste gegen Rechtsextremismus, auch in Bad Salzungen – wo zuvor vor allem "Montagsspaziergänger" auf die Straße gingen.
Wie haben Sie das verfolgt? Die Demonstrationsbewegung ist wichtig und ich begrüße sie. Auch wenn die Frage bleibt, welche Wirkung sie jetzt erzielen kann, denn die Entscheidung wird am Wahltag fallen. In der jahrzehntelangen DDR-Vergangenheit haben die Menschen unter Gängelei gelitten, zugleich ist es ihnen abgewöhnt worden, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen. Das merkt man nach wie vor. Aber eine Gesellschaft funktioniert zuallererst nur dann, wenn Menschen selbst aktiv werden. Heute scheint es leicht, zu einem Thema zu polemisieren, anstatt zu fragen: Was kann ich selbst beitragen? Wir brauchen mehr Menschen, die bereit sind, Mandate zu übernehmen und sich zu engagieren.
Wie kann das gehen? Das ist Aufgabe derer, die schon ein Mandat haben. Sie müssen sich unters Volk mischen. Ich bin fast immer an Wochenenden bei Veranstaltungen in der Region unterwegs. Die Leute merken: Man interessiert sich für das, was vor Ort passiert. Gerade für Ehrenamtliche ist das wichtig und bedeutet Anerkennung. Demokratie macht sehr viel Arbeit. Aber es geht nicht anders. Wenn ich diese nicht leisten kann, zerbricht etwas. Wir müssen mit den Menschen ins Gespräch kommen.
Das ist eine Aufgabe für Jahrzehnte. Für Sie heißt es nun: Endspurt! Bei der Landratswahl treten Sie nicht wieder an. Was sind Ihre letzten großen Aufgaben? Ich habe nach wie vor vieles zugleich auf dem Tisch, der Terminkalender ist voll. Im Stiftungsrat Wartburg, dem ich angehöre, versuchen wir etwa eine Lösung für die Weiterführung des Wartburghotels zu finden. Das ist zeitaufwendig. Die verbleibenden fünf Monate werden es noch in sich haben; ich werde bis zum letzten Tag gefordert sein. Es fühlt sich also noch keineswegs nach Abschied an. Werden Sie der Kommunalpolitik erhalten bleiben? Wenn am 30. Juni Schluss ist, heißt das nicht, dass ich nicht im Ehrenamt Aufgaben übernehme. Ich engagiere mich weiter für die Region; es gibt schon Anfragen. Und ich freue mich auf mehr Bewegung, statt am Schreibtisch zu sitzen – mein Rad steht schon bereit.
Das Gespräch führte Sven Wagner ist CDU-Mitglied und seit 2006 Landrat des Wartburgkreises. Bei der Wahl am 26. Mai darf er aus Altersgründen nicht mehr antreten. Krebs ist 64 Jahre alt und stammt gebürtig aus Weimar. svw