Rubrik im PS: | Wettbewerber |
Auflage: | 3.025 |
Reichweite: | 7.048 |
Ressort: | Lokales |
Von Kissen bis "Hospiz-Glucken"
Initiative "Mützen-Herz" gibt Krebspatienten mit Genähtem neue Hoffnung – und die Helfer werden immer mehr
Jeanette Nentwig
Fünf Jahre ist es jetzt her. Damals erhielt Christiane Fritsch aus Lensahn die Diagnose Brustkrebs. Heute geht es der 68-Jährigen nach der Behandlung im UKSH in Lübeck glücklicherweise wieder gut. Doch damals brach für sie die Welt zusammen. Plötzlich standen da jede Menge Fragen im Raum. Fragen, in denen es um ihr Leben, um ihre Zukunft ging: "Die Konfirmation meines Enkelkinds – werde ich das noch miterleben?", war einer der vielen schweren Gedanken, die ihr damals durch den Kopf gingen.
Im Krankenhaus bekam sie während der Therapie ein sogenanntes Herzkissen geschenkt: ein Kissen in Form eines Herzens, das aufgrund seiner Form nicht nur Trost spendet, sondern vor allem auch einen wichtigen medizinischen Zweck erfüllt. Denn nach einer Brust-Operation kann das Kissen, wenn es unter die Achsel geklemmt wird, entlastend und somit wohltuend wirken. "Natürlich habe ich mich damals sehr über das Kissen gefreut", erinnert sie sich, aber ich weiß auch noch, dass es keine besonders fröhliche Stofffarbe hatte"
Nur wenige Minuten
für ein HerzkissenSo etwas wäre ihr als Hobby-Näherin garantiert nie passiert: Seit 2021 engagiert sich Christiane Fritsch ehrenamtlich bei der Initiative "Mützen-Herz"; sie näht unter anderem Herzkissen für Brustkrebspatientinnen – und natürlich nur aus Stoffen, die bunt und fröhlich sind. Inzwischen benötigt sie zum Nähen eines Herzkissens nur noch zehn bis 15 Minuten, inklusive unsichtbarer "Zaubernaht", damit bloß nichts drückt irgendwo beim Tragen.
"Mützen-Herz" ist eine Initiative, die Astrid Heide aus Heiligenhafen Anfang des Jahres 2020 ins Leben gerufen hat. Die 58-Jährige ist ausgebildete Palliativschwester und arbeitet ehrenamtlich für das Hospiz Eutin. Bei ihren Hausbesuchen bei an Krebs erkrankten Menschen stellte sie immer wieder fest, dass viele Patienten im Alltag Probleme mit ihrem Portkatheter für die Chemotherapie hatten. Der Port, wie er umgangssprachlich genannt wird, ist ein dauerhafter Zugang zu einer Vene und wird meist unterhalb des Schlüsselbeins gelegt. Also genau dort, wo bei Frauen der Riemen der Umhängetasche verläuft oder auch der Anschnallgurt im Auto. "Dieser Druck auf den Port empfinden viele Betroffene als unangenehm."
Außerdem sei ihr bei ihrer Arbeit immer wieder aufgefallen, dass die Menschen, denen aufgrund einer Chemotherapie die Haare ausfallen, nachts über einen kalten Kopf klagten. Eine Wollmütze auf der empfindlichen Kopfhaut sei da jedoch keine Lösung. "Also habe ich mir eines Tages Schnittmuster für kleine und große Herzkissen für den Port oder die Achseln aus dem Internet heruntergeladen und außerdem mit dem Nähen von Mützen aus Jerseystoff begonnen." Es sollte der Startschuss für ihre Aktion "Mützen-Herz" werden. Denn die bunten Herzkissen fanden genau wie die hübschen Stoffmützen reißenden Absatz bei ihren Patienten.
Schnell war klar: Sie kam mit dem Nähen nach Feierabend nicht mehr nach. "Also habe ich überall Aushänge gemacht und nach Hobby-Näherinnen gesucht", berichtet sie. Vom Fleck weg meldeten sich damals 14 Frauen bei ihr. Heute sind es 30 Frauen, die sich nähend, häkelnd und strickend ehrenamtlich für "Mützen-Herz" engagieren. "Das Team ist über ganz Schleswig-Holstein verteilt, von Fehmarn bis Flensburg", freut sich Astrid Heide.
Das Sortiment
wächst stetig Gemeinsam mit dem Team ist gleichzeitig auch das "Sortiment" gewachsen: Neben Herzkissen und sogenannten "Beanies", einer bestimmten Mützenform, gibt es auch Bandanas (Kopftücher), kleine Kissen, die sich zur Druckentlastung unter den Träger des BHs klemmen lassen, Glücksschweinchen, Sorgenwürmchen, Schutzengel und gehäkelte Herzensmenschen, des weiteren Stoffbeutel zum Umhüllen von Infusionspumpen, Stomabeuteln oder Drainagebeuteln, Demenzdecken und Pulswärmer mit kleinen Schleifchen und Knöpfen, an denen Demenzpatienten herumnesteln und sich so etwas entspannen können, sowie Handschmeichler zur Beruhigung beispielsweise für einen MRT-Termin. "Das Sortiment wächst stetig und an Kreativität mangelt es uns garantiert nicht", sagt Astrid Heide.Für die Betroffenen sind die Produkte kostenlosFür die Betroffenen ist all dies kostenlos, sie bezahlen lediglich das Porto, wenn sie über die Homepage von "Mützen-Herz" Produkte bestellen. Viele der Kissen und anderen Dinge finden durch Kooperationen von "Mützen-Herz" mit verschiedenen Kliniken in Ostholstein und Lübeck ihren Weg zu den Patienten. Meist übernehmen bei diesen Kooperationen die Kliniken die Kosten für die Stoffe. "Ich bin selbst verblüfft über unsere Entwicklung", gesteht Astrid Heide. Und auch, wenn die Koordination und Organisation viel Arbeit für sie bedeutet: "Die Motivation, weiterzumachen, sind die wunderbaren und so dankbaren Rückmeldungen der Patienten." Denn das Besondere an all den Dingen ist nicht nur ihre Funktion: Allen Produkten aus dem Sortiment ist deutlich anzusehen, mit wie viel Liebe und Fürsorge sie gemacht worden sind.
Jede Menge positive Resonanz gibt es auch auf die "Hospiz-Glucken", mit denen "Mützen-Herz" die Einrichtung eines neuen Hospizes in Oldenburg unterstützt. Die kleinen bunten Hühner sind das Maskottchen der geplanten Einrichtung, es gibt sie unter anderem in Apotheken und Buchhandlungen gegen eine Spende, und der Erlös geht komplett an den Förderverein. Mehr als 6200 Glucken hätten die fleißigen Näherinnen bereits erstellt. Allein Christiane Fritsch hat inzwischen mehr als 3500 genäht. "Mein Traum wäre eine Wacken-Glucke", spekuliert Astrid Heide in Richtung Zukunft, "die könnte aus einem Stoff mit Gitarren-Muster sein, und dann verteilen wir sie gegen eine Spende auf dem Open-Air-Festival."