Rubrik im PS: | Aller-Weser-Klinik |
Autor: | Ronald Klee |
Auflage: | 4.858 |
Reichweite: | 10.153 |
Ressort: | Verden |
Lieber der Spatz in der Hand...
SERIE ANKOMMEN AUS DER UKRAINE -: Der erste Schritt in eine ganz neue Richtung / Teil II
Landkreis – Olena Fedko weiß, warum sie nicht in die Ukraine zurückkehren will. Und wer die Zerstörung in Cherson in den Fernsehbildern gesehen hat, kann erahnen, warum es sie nach ihrer Flucht von dort nicht zurückzieht. "Ich will nicht herumsitzen und mein Schicksal beklagen", sagt sie. Mit dem Entschluss, sich statt dessen in der neuen Heimat im Landkreis Verden ein neues Leben aufzubauen, ist vieles allerdings ungewiss. Besonders der Broterwerb, denn mit der Ausbildung und den Berufserfahrungen aus der Ukraine wird sie vorerst nicht sehr weit kommen.
Die 47 Jahre alte Ukrainerin hat vor dem Krieg und vor ihrer Flucht zuhause in Apostolowo nahe Cherson in einer Möbelproduktion als Buchhalterin gearbeitet. Die kyrillischen Buchstaben dort sind anders, aber sie kann auch mit der lateinischen Schrift umgehen. Zahlen sind für die Ukrainerin natürlich überhaupt kein Problem. Sie sehen hier nicht anders aus als dort. Dennoch nützen ihr die Kenntnisse und ihre Berufsausbildung erstmal nichts, weil es immer schwieriger wird, dafür die Anerkennung der Qualifikationen zu bekommen.
Ähnliches erlebt Inna Tarabanova. Die Biologielehrerin hat viel Erfahrung im Beruf. In der Heimat, in Dnipro, hat sie zeitweise als Schulleiterin gearbeitet und junge Kollegen ausgebildet, erzählt sie im Pressegespräch. In der Schule, aber auch in der Kommune, so berichtet die 40-Jährige, habe sie zudem verschiedene Verwaltungsaufgaben übernommen gehabt. Die Anerkennung ihrer Qualifikationen in der neuen Heimat gestaltet sich auch bei ihr schwierig. Wenn sie also mit der deutschen Sprache immer besser zurecht kommt, bedeutet das noch lange nicht, dass sie in ihren Beruf zurückkehren kann.
Aus der Arbeit im Achimer Jobcenter kennt Stephan Hamann das Problem. Bislang, so berichtet der stellvertretende Abteilungsleiter, sei die IQ Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung im Landkreis Verden und auch in Osterholz für diese Aufgaben genutzt worden. Das sei ausgelaufen zum vergangenen Jahresende. "Mittlerweile gibt es Beratung nur noch als Video-Konferenz und, wenn man sich da jetzt einen Termin holt, ist der im November", beschreibt der ALV-Vertreter die unbefriedigende Situation.
Im neuen Fachdienst Arbeitsvermittlung und Wirtschaftsförderung im Kreishaus wird das ähnlich beurteilt. Im Zusammenhang mit dem Programm des Jobcenters bedauert Fachdienstleiterin Natalia Schäfer, dass das zuständige Bundesministerium den Förderantrag auf eine Fortsetzung der Beratungsarbeit abgelehnt hat.
Um das Beratungsangebot in 2023 fortsetzen zu können, haben die beiden Landkreise Osterholz und Verden einen Förderantrag beim Regionalen Fachkräftebündnis Elbe-Weser gestellt. "Das neue Projektkonzept beinhalte neben der Beratung zum Thema Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen auch Angebote für regionale Unternehmen, die der Verbesserung der Fachkräftesituation dienen sollen", berichtet die Fachdienstleiterin den Kreistagsmitgliedern.
Während also die Kultusministerien der Bundesländer, auch das in Hannover, händeringend nach Pädagogen suchen, um die offenen Lehrerstellen besetzen zu können, hat Inna Tarabanova für das Erste keine Perspektive auf die Rückkehr in ihren Beruf. Sie sieht sich wie Olena Fedkau gezwungen, sich beruflich neu orientieren.
Als krasses Beispiel, dass hier noch manches verbessert werden könnte, berichtet die ukrainisch-stämmige Kursleiterin Nataliya Neumann von einer Kursteilnehmerin, die als ausgebildete Krankenschwester vor der Flucht in einer Klinik gearbeitet hat und gerne auch hier wieder im Krankenhaus arbeiten würde. Eine Anstellung in ihrem Beruf ist aber auch für sie nicht ohne weitere möglich und so arbeitet sie jetzt als Reinigungskraft im Achimer Haus der Aller-Weser-Klinik. "Für sie ist es dennoch okay", sagt Neumann. Ihre Landsmännin sei froh, der Tätigkeit auf diesem Wege nahe zu sein.