Welt Bundesausgabe, Die vom 11.09.2023, S. 7 (Tageszeitung / täglich ausser Samstag und Sonntag, Berlin)
Rubrik im PS: | Energiepolitik |
Autor: | Kai Wegner |
Auflage: | 126.304 |
Reichweite: | 386.490 |
Ressort: | Forum |
Quellrubrik: | Gastkommentar |
Strompreise runter - nicht nur für die Industrie
Von Kai Wegner
Unternehmen und Verbraucher in Deutschland ächzen unter den hohen Strompreisen. Diese sind jedoch nicht nur das Ergebnis globaler Entwicklungen und Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Vielmehr sind sie auch das Produkt eine verfehlten nationalen Energie- und Steuerpolitik. Die deutschen Energiesteuern zählen zu den höchsten in der EU.
Vor diesem Hintergrund wirken die Klagen in der Bundesregierung über zu hohe Energiepreise und die Diskussionen über staatliche Subventionen wie energiepolitische Schizophrenie - nach dem Motto: Erst erhöht der Staat den Strompreis durch Verknappung und Besteuerung, um anschließend einzelne Unternehmen durch Subventionen zu entlasten. Derartige Flickschusterei und Subventionen nach Gutsherrenprinzip werden keines unserer Probleme in Deutschland dauerhaft lösen. Erforderlich ist vielmehr eine schnelle und umfassende Senkung der Strompreise, von denen alle profitieren - die Industrie, die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen und selbstverständlich auch die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Subventionen, die nur den großen energieintensiven Industrieunternehmen zugute kommen, würden zu kurz greifen. Das einzige Instrument, das schnell, effektiv und in die Breite wirken kann, ist, die Verbrauchssteuern auf Strom abzusenken. Konkret müssen wir die Mehrwert- und auch die Stromsteuer umgehend auf das europarechtlich maximal mögliche Maß senken. Damit hätten wir auf einen Schlag in Deutschland einen Strompreis, der in etwa dem europäischen Durchschnittspreis entspricht. Anders als jede Form von staatlich garantierten und subventionierten Preisen wäre dieser Weg auch beihilferechtlich unproblematisch und folglich nicht mit dem Risiko behaftet, dass die Europäische Kommission ein Veto dagegen einlegt.
In Ergänzung dazu - und in einem zweiten Schritt - könnten mit einem staatlich garantierten Brückenstrompreis gezielt und zeitlich befristet energieintensive Unternehmen weiter entlastet werden, um ihnen die notwendige Zeit für den anstehenden Transformationsprozess zu geben. Dieses Instrument darf jedoch nicht auf große Konzerne beschränkt bleiben, sondern muss allen energieintensiven Unternehmen zugute kommen. Also auch den Pharmaunternehmen oder den Bäckereien.
Mittel- und langfristig ist es außerdem besonders wichtig, die verfügbare Strommenge durch einen Ausbau der Energieproduktion schnellstmöglich zu erhöhen. Auch hier muss die Bundesregierung endlich liefern und ihren lautstarken Ankündigungen Taten folgen lassen. Wir benötigen in Deutschland dringend die lang angekündigte und längst fällige Reform des Strommarktes. Es ist absurd, dass sich der Strompreis an der Börse automatisch an dem jeweils teuersten Energieträger orientiert - mit der Folge, dass der Strompreis künstlich hoch gehalten wird und die Produzenten von günstigem Strom enorme Gewinne zulasten der Verbraucher einstreichen. Die bisherigen Vorschläge der EU-Kommission zur Reform des Strommarktes sind in diesem Punkt völlig unzureichend.
Die Lösungen liegen auf dem Tisch und ließen sich - etwa in Form eines optimierten Preisbildungsmechanismus an der Strombörse - schnell und ohne viel Aufwand umsetzen. Umso mehr ist die Bundesregierung jetzt in der Pflicht, sich im Rat aktiv für eine Reform einzusetzen, die diese Bezeichnung auch verdient.
Nur ein Dreiklang von dauerhaften Strompreissenkungen, temporären Hilfen in Form von staatlichen Preisgarantien sowie einer schnellstmöglichen Ausweitung der verfügbaren Strommengen wird den Unternehmen in Deutschland eine Perspektive geben. Nur dann werden die Unternehmen dauerhaft bleiben, hier investieren und die Arbeitsplätze sichern. Wer jetzt nicht schnell, entschlossen und mutig handelt, wird zum Totengräber des Industriestandorts Deutschland.
Kai Wegner (CDU) ist seit April 2023 Regierender Bürgermeister von Berlin.