Rubrik im PS: | Konzern und Standorte |
Autor: | Christoph Aschenbrenner |
Auflage: | ∑ 120.212 |
Reichweite: | ∑ 260.859 |
Ressort: | Gesundheit und Medizin |
"Wir haben alle Weichmacher in unserem Blut"
Männer aufgepasst: Wer zu viele Schadstoffe aufnimmt, kann seiner Fruchtbarkeit dauerhaft schaden
Dass die Samenqualität nachlässt, hört Mann nicht gerne. Dabei ist dieser Befund kein Einzelschicksal. Die Spermienzahl und -konzentration pro Milliliter Samenflüssigkeit haben in den vergangenen Jahrzehnten weltweit abgenommen. Das bescheinigt eine israelische Studie aus dem Jahr 2022. Männer aus Europa, Nordamerika und Australien sind am stärksten betroffen.
Eine Gefahr sind spezielle Weichmacher, etwa die sogenannten Phthalate, die zum Beispiel in Lebensmittelverpackungen vorkommen. Nehmen wir zu viele von ihnen auf, kann das neuesten Forschungen zufolge unmittelbare Folgen auf Spermien haben: Sie werden vorübergehend unbeweglicher.
Im Rennen zur Eizelle entscheidet Beweglichkeit
Viele Weichmacher gehören zur Gruppe der endokrinen Disruptoren, also chemische Stoffe, die das Hormonsystem des Menschen beeinflussen können. Auch Bisphenol A zählt zu dieser Gruppe – eine Industriechemikalie, die sich in Trinkbechern, Plastikgeschirr oder der Innenbeschichtung von Konservendosen findet. Dass diese Stoffe eine negative Wirkung auf die Spermienproduktion haben können, wird in der Wissenschaft schon lange diskutiert, was auch dem Forschungsteam um Prof. Timo Strünker bekannt ist. Er leitet eine Arbeitsgruppe am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie an der Universität Münster. "Der konkrete Nachweis, dass die Aufnahme von Weichmachern in den Körper das Schwimmverhalten der Spermien verändert, ist neu", sagt er in Bezug auf das Experiment der Universitätsmedizin Essen.
Die Kollegen untersuchten Probanden, die regelmäßig Thrombozyten spenden. Weil das Blut dabei bis zu zwei Stunden durch Plastikschläuche geleitet wird, gelangen auch große Mengen an Phthalaten ins Blut. Anschließende Analysen ihrer Spermaproben ergaben, dass die Frequenz der Spermienschwanzschläge daraufhin abgenommen hatte.
Vor jeder Befruchtung findet ein Wettrennen zur Eizelle statt. Das setzt viele, gut bewegliche Spermien voraus, die auf dem Weg durch den weiblichen Geschlechtstrakt auch auf Botenstoffe reagieren müssen. "Wenn Substanzen die Beweglichkeit der Spermien einschränken, kann das die Fruchtbarkeit beeinträchtigen", sagt Strünker.
Die Mischung macht’s: Wie sich Gifte verstärken
Es ist ein "Cocktail" an Umweltgiften, den wir regelmäßig aufnehmen. Das Gefährliche: "Die Wirkungen einzelner Chemikalien summiert sich nicht nur, sondern sie können sich gegenseitig verstärken", sagt Strünker. Da reicht es, sich mit Sonnencreme einzureiben – und schon sind chemische UV-Filter im Blut. Auch manche Berufsgruppen sind höheren Konzentrationen an Weichmachern ausgesetzt, wenn sie etwa mit PVC-Bodenbelägen, Kunstlederbezügen oder Kabelisolationen in Berührung kommen. Überall dort sind Phthalate in großen Mengen vorhanden.
Sorgen um die menschliche Spezies will sich der Professor keine machen. "Wir vermehren uns immer noch ziemlich gut." Und auch die Studie aus Essen kommt zu einem erfreulichen Ergebnis: Eine Woche nach der Untersuchung zeigten sich die untersuchten Spermien agil wie zuvor, die zusätzlich aufgenommenen Weichmacher waren abgebaut und vom Körper ausgeschieden.
Wir sind im Alltag von Weichmachern umgeben
Doch für Strünker steht fest: "Wir haben alle Weichmacher und andere endokrine Disruptoren in unserem Blut." Es sei nahezu unmöglich, gefährdenden Umweltfaktoren komplett zu entkommen, vor allem in unserer industrialisierten Welt. Ob Weichmacher, Pestizide oder Schwermetalle – wir sind ihnen zwangsläufig ausgesetzt.
Es gebe zwar keine eindeutigen Belege, dass solche Stoffe allein die Fruchtbarkeit von Männern herabsetzen. Auch brauche es davon permanent eine hohe Menge, die wir zuführen. "Zuträglich ist die dauerhafte Belastung aber sicher nicht", sagt Strünker.
Handys und Hormone – zwei weitere Gefahren?
Wer befürchtet, dass auch Hormone im Trinkwasser oder die Handystrahlung langfristig der Fruchtbarkeit schaden, den beruhigt Strünker: "Man kann es nicht gänzlich ausschließen, aber es gibt auch keinen Nachweis dafür."
Dennoch gibt es hormonelle Rückstände, die selbst eine Kläranlage nicht vollständig herausfiltern kann. Die Mengen dieser Hormon-Moleküle bewegen sich pro Liter gefiltertem Wasser im Nanogramm-Bereich. Doch schon in geringer Konzentration sind Hormone als chemische Botenstoffe hoch wirksam; einen festgelegten Grenzwert im Trinkwasser gibt es nicht. Beim Handy kommt das Bundesamt für Strahlenschutz zu dem Schluss, dass "sich aus den sehr variablen Daten kein Nachweis für eine gesundheitsrelevante schädliche Wirkung elektromagnetischer Felder auf Spermien herleiten" lässt.
Ein gesunder Lebensstil freut auch das Sperma
Und was kann Mann tun, um sich seine Chance auf Fortpflanzung erfolgreich zu wahren? "Alles, was meiner Gesundheit schadet, schadet auch der Spermaqualität", sagt Strünker. Wie so oft liegt es am individuellen Lebensstil, der mitentscheidet. Schlechte Ernährung, Alkoholkonsum, übermäßiger Stress und Rauchen – all diese Faktoren können sich negativ auf die Beschaffenheit des Samens auswirken. Wer beim Einkaufen auf Lebensmittel in Verpackungen mit Weichmachern verzichtet, kann deren Aufnahme zumindest reduzieren.
Letztendlich entscheidet für Strünker die Kombination aus mehreren Faktoren, wie stark der Chemie-Cocktail im Blut tatsächlich wird. Kommt dann noch eine von Haus aus geringe Samenqualität hinzu, könnte dieser die Sache womöglich noch verschlechtern.