Neue Westfälische, Bielefelder Tageblatt (West) vom 07.05.2024, S. 3 (Tageszeitung / täglich außer Sonntag, Bielefeld)
Rubrik im PS: | Wettbewerber und Region |
Auflage: | 7.582 |
Reichweite: | 16.453 |
Ressort: | NW-Politik |
Quellrubrik: | 101-BI-MW |
"Ich werde nicht fürs Jammern bezahlt"
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) weiß, wie es sich anfühlt, wenn Politikern Hass entgegenschlägt. Im Interview erklärt er, wie die Politik auf jüngste Angriffe auf Mandatsträger reagieren sollte. Er ordnet zudem ein, wie die Krankenhausreform OWL verändern wird und wie sein Verhältnis zur Ärzteschaft ist.
Herr Lauterbach, in den vergangenen Tagen haben Angriffe auf Politiker Entsetzen ausgelöst. Sie selber werden rund um die Uhr von Personenschützern bewacht. Hat die Verrohung im Land eine neue Dimension erreicht?
Karl Lauterbach: Ja, es handelt sich klar um eine neue Qualität, wenn Europapolitiker beim Plakatieren zusammengeschlagen werden. Ich finde bedenklich, was im Land passiert. Die Gewalt nimmt deutlich zu und dadurch wird der Beruf des Politikers immer unattraktiver. Wir haben ja jetzt schon Probleme, die Kommunalparlamente mit guten Leuten zu besetzen – selbst in Städten wie Köln.
Was kann die Politik tun?
Einmal müssen die demokratischen Parteien viel mehr zusammenhalten und vor allem den rechten Diskurs stärker isolieren. Zum anderen kann man Gesetze machen – und das Strafmaß deutlich erhöhen, um Gewalt gegen Politiker härter zu bestrafen. Man muss bei Strafen mit Abschreckung arbeiten. Wenn wir wollen, dass Kommunalpolitik noch funktioniert, dann müssen wir die Leute schützen.
Würde man dadurch Politiker nicht auf eine gesonderte Stufe stellen?
Nein, das wären doch keine Sonderrechte für Politiker, sondern härtere Strafen für die Gewalttäter. Es geht ja dabei auch nicht um Berufspolitiker wie mich. Wir werden ja gut geschützt. Es geht um Kommunalpolitiker, die sich ehrenamtlich einbringen.
Die Ampelkoalition steht vor schwierigen Haushaltsberatungen. Wie laufen Ihre Verhandlungen mit dem Finanzminister – und kann die Regierung daran zerbrechen?
Ich führe diese Verhandlungen vertraulich und sehr offen mit Christian Lindner und heule mich nicht öffentlich aus. Ich werde ja nicht fürs Jammern bezahlt. Ich bin auch sicher, dass wir eine Lösung beim Haushalt finden werden. Gestritten wird über eine Summe von ganz wenigen Prozent des Gesamtvolumens. In einer Zeit, in der die Demokratie von innen und außen bedroht ist, in der ein Krieg in Europa tobt und in der wichtige Wahlen in den USA und Indien anstehen, könnten wir den Bürgern nicht vermitteln, wenn wir die Regierung kippen würden, weil wir uns auf eins-zwei Prozent des Haushaltsvolumens nicht einigen könnten.
Die Krankenhausreform steht bevor. Wie viele Kliniken werden geschlossen?
Diese Frage kann ich nicht beantworten, das entscheiden die Länder. Die sind für die Planung zuständig. Sicher ist aber, dass es Schließungen geben wird, weil wir mit 1.720 Krankenhäusern deutlich zu viele haben, für die wir zu wenig Personal und Geld haben. Es spricht also nichts für einen Fortbestand aller Kliniken.
Die Länder üben nach wie vor starke Kritik an Ihren Reformplänen. Bayern fürchtet gar um die flächendeckende Gesundheitsversorgung.
Die Stimme Bayerns ist eine Einzelstimme, weil es als einziges Bundesland gegen die Reform gestimmt hat. Die 15 anderen Länder stimmen der Reform, die zu weniger Standorten, aber einer verbesserten Behandlungsqualität führen wird, grundsätzlich zu. Auch die Länder sehen, dass an vielen Kliniken Behandlungen durchgeführt werden, obwohl sie dafür nicht passend ausgestattet sind. Sie bieten sie aber an, weil sie das Geld benötigen, um zu überleben und diese Praxis wollen wir beenden. Der Grundkonflikt zwischen dem Bundesgesundheitsministerium und den Ländern besteht darin, dass die Länder die Qualitätsstandards bestimmen möchten, doch das wird nicht passieren, weil das Aufgabe des Bundes ist. Darauf hoffen übrigens auch die Kommunen, weil sie so besser planen können.
In NRW läuft die Krankenhausreform bereits. Mit NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) gibt es immer mal wieder Streit. Wie ist Ihr Verhältnis aktuell?
Ich komme mit Karl-Josef Laumann und seinem Team gut zurecht. Klar ist aber auch, dass es bei der größten Klinikreform, die es in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland geben wird, auch zu Reibereien kommt.
Vor kurzem sagten Sie, dass die Kliniken in ländlichen Regionen am Netz gehalten werden. Wird die Reform ländliche Regionen wie OWL also nicht so stark verändern wie Ballungsgebiete?
Genauso wird es kommen, denn die Reform greift vor allem in Regionen, in denen eine Überversorgung besteht. Am Beispiel von NRW bedeutet das, dass die Reform in OWL deutlich weniger Spuren hinterlassen wird als in Köln. In viele westdeutschen Großstädten gibt es zu viele Standorte und diese Lage führt dazu, dass Universitätskliniken, die für komplexe Behandlungen am besten geeignet sind, nicht voll ausgelastet sind.
Wer wird entscheiden, welche Kliniken geschlossen werden?
Die Länder ordnen den Krankenhäusern die Leistungsgruppen zu, die der Bund vorgibt, und bestimmen damit, welche Standorte künftig noch welche Leistungen anbieten dürfen. Die Länder haben dadurch viele Freiheiten. Die einzige Einschränkung ist, dass das Bundesgesundheitsministerium die Qualitätsstandards vorgibt, damit künftig nur noch die Kliniken für Behandlungen honoriert werden, die diese Voraussetzungen auch erfüllen.
Beginnt die Friedenszeit mit den Ländern, wenn das Gesetz durch ist?
Zunächst steht uns eine schwere Zeit bevor, weil wir das Gesetz durch das Kabinett bekommen müssen. Ich bin aber gesprächsbereit und wir werden sicherlich auch Vorschläge der Länder in das Gesetz einbringen. Ausnahmen bei den Qualitätsstandards wird es aber nicht geben. Dafür trage ich die Verantwortung und ich weiß die Unterstützung der Bundesregierung hinter mir. Da werden wir nicht wackeln.
Heute werden Sie den deutschen Ärztetag eröffnen. Welche Botschaft bringen Sie mit?
Es besteht zunehmend Konsens zwischen der Ärzteschaft und mir darüber, dass es im Gesundheitssystem diverse ineffiziente Strukturen gibt, die wir uns nicht mehr leisten können. Wir brauchen ein Regelwerk dafür, dass stationär und ambulant nicht länger gegeneinander gearbeitet wird. Es muss künftig möglich sein, dass Ärzte in beiden Sektoren tätig sein können. Mit Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt bin ich sicherlich nicht immer einer Meinung, aber wir stehen in einem konstruktiven Dialog.
Wie wollen Sie den Ärztemangel bekämpfen?
Wir haben in den vergangenen Jahren zu wenig Ärzte ausgebildet, weshalb wir die Zahl der Studienplätze um 5.000 erhöhen müssen. Zudem wird die Zentralisierung in Folge der Klinikreform dafür sorgen, dass Ärzte besser verteilt werden.
Eine von der Ampel eingesetzte Kommission empfiehlt, Abtreibungen innerhalb der ersten zwölf Wochen zu erlauben. Die Koalition ist zurückhaltend. Das wirkt so, als fürchtet die Ampel die Geister, die sie selbst gerufen hat.
Der Eindruck ist falsch. Aber wir müssen den Kommissionsbericht zunächst prüfen. Und dann wären rechtliche Änderungen des Paragrafen 218 Sache von Justiz- und Familienministerium. In meinem Bereich setze ich mich für die Verbesserung der medizinischen Versorgung von ungewollt schwangeren Frauen ein.
Sie haben maximale Transparenz bei der Aufarbeitung der Corona-Politik und der Freigabe der RKI-Protokolle versprochen. Ihre Offenheit endet allerdings mit der Amtszeit Ihres Vorgängers, CDU-Politiker Jens Spahn.
Meines Wissens sind die RKI-Protokolle aus meiner Amtszeit nicht angefragt worden. Zudem wusste ich nichts von Schwärzungen, die in bestimmten Fällen zum Beispiel zum Schutz Dritter rechtlich nötig sind. Ich setze mich aber dafür ein, dass die Protokolle an allen Stellen entschwärzt werden, wenn das rechtlich möglich ist. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass wir mauern, denn das ist nicht der Fall.
Das Gespräch führten Thomas Seim, Carsten Heil, Ingo Kalischek und Carolin Nieder-Entgelmeier